Maschinenleben

I. Warum die Zukunft uns nicht braucht

(Klaus Happel, 2000)

In dreißig oder vierzig Jahren wird es denkende Maschinen geben, die jede Art von Turing-Test erfolgreich absolvieren. Sie werden so intelligent wie wir sein, oder um ein Vielfaches intelligenter. Da diese Entwicklung absehbar ist aufgrund des Fortschrittes in der Nano-Technologie oder bei Quanten-Computern, aufgrund des noch immer gültigen Moore’schen Gesetzes, das wohl bald noch übertroffen werden wird von Technologien, die auf der Ebene von Molekülen und Atomen operieren, begann sich vor einigen Jahren Bill Joy, Mitbegründer von Sun Microsystems, zu fragen, was aus uns Menschen werden würde, wenn wir plötzlich mit intelligenten Wesen konfrontiert wären, die sich uns als überlegen erweisen könnten.

Würden wir uns durchsetzen können, würden wir überleben oder am Ende Opfer unserer eigenen Technologien werden? Werden Mensch und Maschine koexistieren oder vielleicht sogar kooperieren oder wird die Maschine (was immer dann von uns noch Maschine genannt wird) den Menschen hinter sich lassen und sich mit dem ihr eigenen, viel schnelleren Tempo weiterentwickeln, während die Evolution des DNA-basierten Lebens auf der Erde geradezu stehen bleibt?

Was bedeutet Erfolg und Durchsetzen in diesem Zusammenhang, was Überleben? Aus anthropozentrischer Sicht hieße Erfolg sicherlich, dass die Menschheit diese Welt weiterhin beherrscht und die Maschinen kontrolliert, gleichviel, wie mächtig diese eines Tages auch werden mögen. Andererseits, vom Standpunkt der Evolution könnte der Übergang von biologischer DNA-basierter Informationsspeicherung zu wieder beschreibbaren, sich selbst konfigurierenden Informationsspeichern als verbesserte Adaptivität und damit als Fortschritt erscheinen. Man sollte hierbei auch berücksichtigen, dass nach derzeitiger Kenntnis alle biologischen Systeme grundsätzlich dem ersten Hauptsatz der Molekularbiologie folgen (mit all den Einschränkungen, die wir inzwischen kennen hinsichtlich von Umwelt-Rückkopplungen auf das Genom, differentieller Genaktivität und RNA-Interferenz). Denkende Maschinen könnten jedoch auch den umgekehrten Weg verwenden. Damit würden Anpassungs- und Selektionsprozesse nicht mehr über Generationen hinweg stattfinden, sondern auf der Ebene des Individuums, das sich nun selbst auch schnell wechselnden Bedingungen anpassen könnte – bedenken wir, dass die zugrunde liegenden elektronischen Prozesse sehr viel schneller ablaufen als in Biomaschinen.

Man kann nun den Standpunkt einnehmen, dass die Menschheit dann lernen müsse, die Maschinen zu beherrschen, wie sie es gelernt hat, die Bombe zu beherrschen. Man übersieht dabei jedoch leicht, dass die Replikation der Bombe in der Hand von Menschen liegt, während denkende Maschinen sich eines Tages selbst replizieren und verbessern könnten. Von gleicher Seite wird auch gerne argumentiert, Krebs als Krankheit sei ebenfalls ein unkontrollierter sich selbst replizierender Vorgang, über den wir inzwischen immer mehr erfahren und den wir immer besser behandeln können.

Mit anderen Worten, Menschen seien in der Lage jede Art von Technologie zu beherrschen und die Evolution, was die Menschheit und ihre Rolle auf der Erde selbst angeht, zum Halten zu bringen. Dahinter steht eine Weltsicht, in der die Menschheit außerhalb oder über der natürlichen Evolution steht, womit alle Werkzeuge und Technologien, alle Artefakte und Erzeugnisse der Menschen einem künstlichen, nicht-natürlichen oder außer-natürlichen Bereich angehören. Wohl mag sich der Mensch entwickeln und selbst das Ergebnis von Entwicklung sein: Über ihn hinaus aber, so klingt es aus dieser Weltsicht, kann (und darf) die Evolution nicht gehen.

Nach diesem Verständnis sind Roboter und andere Maschinen immer nur Technologie, derer die Menschheit sich zum Wohle ihrer selbst bedient und die sie sich auf lange Sicht vollständig unterwirft und dienstbar macht…

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