Maschinenleben

II. Die Evolution ist indifferent

(Klaus Happel, 2000)

Menschen haben bereits begonnen, die biologische Evolution, also ihren eigenen Ursprung und die dazugehörigen Prozesse und Muster zu manipulieren. Anders ausgedrückt: Menschen als differentielle Ergebnisse des evolutiven Prozesses, der genau genommen ja die gesamte Natur umfasst, greifen in den sie generierenden Prozess an vielerlei Stellen ein. Ganz offensichtlich beschleunigt sich der evolutive Prozess dank dieser Manipulation. Die Geschwindigkeit der Evolution wird nicht mehr von biologischen Prozessen sondern von Technologien bestimmt.
Ray Kurzweil vom Singularity Institute of Artificial Intelligence und Autor von „The Age of Spiritual Machines“ vertritt die Position, dass wir uns in dem Maße, wie sich uns die eigenen biologischen Grundlagen erschlössen, von diesen abkoppeln könnten, um in eine posthumane Ära einzutreten, in denen die verfügbaren Technologien uns die Möglichkeit geben, unsere Körper und unseren Geist von Grund auf neu zu erfinden.

Bill Joy hingegen verlangt nichts anderes, als dass wir diese mögliche Entwicklung als Problem erkennen und diskutieren, solange wir noch in der Lage sind, eine Entscheidung dafür oder dagegen zu treffen. Die Erde und uns selbst so zu erhalten, wie sie gerade in diesem Augenblick ist: Das ist die Alternative zu Singularität, denkenden Maschinen und Transhumanismus.
In diesen Kontext passt übrigens auch gut die gegenwärtige Klimadebatte. Auch hier steht die Bewahrung des Gegenwärtigen als der in diesem Augenblick gegebenen Beschaffenheit dieser Welt, gegen die Anpassung an sich verändernde Bedingungen und die immer wieder neue Erfindung der Menschheit, der Umwelt, der Erde, in sich ändernden Kontexten und für alle zukünftigen terragenen Lebensformen.
Es ist vermutlich naiv zu glauben, dass denkende Maschinen von Menschen mit Hilfe von noch mehr (möglichst intelligenter) Technologie kontrolliert werden könnten.  Denkende Maschinen, oder Roboter, längst ein Wort mit negativem Beigeschmack, sind wenngleich unsere Schöpfung dennoch nicht von der gleichen Art wie beispielsweise Windmühlen oder Dampfmaschinen, denen die Möglichkeit der Selbstbestimmung konstruktionsbedingt prinzipiell versagt ist. Hans Moravec vom Robotics Intitute der Carnegie-Mellon-Universität nennt Roboter den Nachwuchs unseres Geistes und glaubt, es sei ein unvermeidlicher Schritt der Evolution, dass wir eines Tages durch diese ersetzt würden. Als Schrittmacher der Evolution auf der Erde wäre unsere Art damit abgelöst und wir würden möglicherweise auch ansonsten nicht mehr gebraucht.

Die Evolution hat ihr Werk nicht um der Menschheit willen vor Milliarden von Jahren begonnen. Wir sollten uns allmählich von allen Ideologien befreien, die den Menschen ins Zentrum der Natur oder darüber oder auf irgendeine Weise außerhalb davon stellen.
Natur bedeutet Evolution. Sie ist das dem Universum inhärente bestimmende Prinzip. Evolution ist ein Tanz, sagt Brian Goodwin vom Schumacher-College in Milton Keynes bei London. Sie hat kein Ziel. Evolution ist ein Tanz durch den Gestaltraum (morphospace), den durch die physikalischen Gesetze aufgespannten Raum möglicher Formen von Organismen. Die Menschheit und im Grunde alles biologische Leben dieser Welt ist in diesem Tanz der Evolution nur eine Figur, die keinen Aufschluss auf das komplexe Ganze gibt oder darauf, welche Art von Leben jenseits der Menschheit möglich sein könnte.

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